GERHARD RUISS

© Dieter Scherr,
IG Autorinnen Autoren

Geboren am 29. Mai 1951 in Ziersdorf / Niederösterreich.
1959 Übersiedlung nach Wien.
Gelernter Schriftsetzer.
1969 – 78 Schriftsetzer und Reproduktionsfotograf.
Seither Schriftsteller, Kulturpublizist, Aktionist, Rockmusiker, Minnesänger, Improvisationsschauspieler („Theatersport“), Theaterregisseur und Solo-Entertainer.
Literarische Anfänge gemeinsam mit Johannes Vyoral und Del Vedernjak in der Gruppe „Orang Utan“.
1972 erste literarische Veröffentlichung.
1984 Beginn der Lehrauftragstätigkeit.
Seit 1985 Musikauftritte,
1991 erstes Bühnenengagement.
Von 1987 bis zum Austritt 1989 Vize-Präsident der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.
Seit 1982 Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren.
Lebt in Wien.

> Werke
> Preise, Auszeichnungen

Vorboten

Der freundliche Diktator wird nie sagen, das ist verboten, er wird sagen, so wie etwas verboten wird, muss es genauso möglich sein, dass sich etwas verbietet. Das Falsche zu sagen beispielsweise. Auch das Verbotene kann erlaubt sein, wenn es nicht verboten wurde. Man kann von einer verbotenen Großzügigkeit sein, bis sie verboten ist. Man ist verboten freundlich, bis es verboten ist. Man ist verboten daran interessiert, was als Nächstes verboten wird, bis es verboten wird.

Es ist eine wahre Freude, was man alles bleiben lassen kann und wieviel Platz dann das Verbleibende hat. Ihm kann man seine ganze Aufmerksamkeit schenken. Es gibt keine überflüssigen Nachrichten und Zerstreuungen. Was wichtig ist, erfährt man umgehend und ohne Einschränkungen.

Der freundliche Diktator wird nie sagen: „Wen interessiert das schon, was Sie sagen?“ Er wird sagen: „Jetzt ist es zu spät, das hätten Sie mir früher sagen müssen, dass Sie die Demokratie so lieben und Sie so an ihr hängen. Das kann man ja nicht wissen. Woher denn auch? Wenn Sie nie etwas gesagt haben. Sie hätten mir nur einmal signalisieren müssen, mit mir nicht, und schon hätte ich es ohne Sie gemacht.“ Welche Ausnahmen in den Verboten erlauben, was verboten ist und welche Verbote keine Einschränkungen erlauben.

Der freundliche Diktator wird nie sagen: „Das interessiert mich nicht.“ Er wird sagen: „Das hätte zwar nichts geändert, aber es hätte mir noch mehr Freude gemacht. Und genau das wollten sie ganz offensichtlich nicht, mir eine Freude machen.“

Vorboten – 8 Gedichte

achsen

achte auf die bösen
sie gibts
in allen größen
in haufen
und in stößen
sie sind es nicht
und warens doch
und sind es
gibt es sie auch später noch
natürlich nie gewesen.

verschiebungen

und wenn das nicht die wahrheit ist
dann ist es halt gelogen
und wenn das nicht gerade ist
so ist es halt gebogen
und wenn wer nicht verschwunden ist
dann schwimmt er weiter oben
und wenn das nicht die deadline ist
so ist sie halt verschoben
und wenn sie nicht gestorben sind
sind sie halt beim erproben.

unverwüstlich

dem gutsein
fehlt der biss
dem fadsein
fehlt der witz
nur dem blödsein
fehlt schon wieder nichts

dem faulsein
fehlt der nipf
dem stursein
fehlt der erste schritt
dem blödsein
fehlt der grips
und außerdem
schon wieder nichts

.

dem bankrottsein
fehlt der riss
dem arglossein
die hinterlist
nur dem blödsein fehlt
noch immer nichts

dem vorhandensein
fehlt der besitz
dem blindsein
fehlt die übersicht
dem blödsein
fehlt das alles nicht
und außerdem
noch immer nichts.

ohne viel dafür zu können

ein paar krisenvorbereitungen getroffen
einfach so, auf verdacht
ein paar sind um ihr vermögen gekommen
ein paar haben sich ein vermögen verschafft
ein paar krisenjahre gehabt
was hat das schon gemacht?
ein paar sind für immer verschwunden
ein paar hat es um den verstand gebracht
neue zeiten sind angebrochen
wen hat das schon betroffen?
ein paar milliarden wurden nicht mehr gefunden
ein paar firmen haben aufgemacht
und sind wieder zusammengekracht

auf dem eigenen flecken

wozu schrebergärten gut sind
warum sie es wert sind:
man liegt in den gärten
und es kommt einem in den sinn
die welt ist
einem grün.

aufteilen

am beginn des ersehnten: welt kriegst
am ende des ersehnten: welt kriegst
am beginn der zuweilen
am ende der zu weiten
am beginn und ende der dazwischen
am beginn und ende der wievielten
auf einmal und am ende aller angezählten
bis auf die
um die wurde gestritten.

lebenserwartungen

lebensabend
lebensmorgen
lebensmittag
lebensfrühstück
lebensjause
lebensernst
lebensfrühling
lebensherbst
lebensvormittag
lebenskaffepause.

nur so lang nichts
auf dem tisch steht

friede den kassen
friede den preisen
friede den küchen
und dem köcheln
dem leisen
friede den messern
den gabeln
den löffeln
den gläsern
servietten
und den tellern aus meissen
friede am sonntag
friede zu mittag
friede am meisten
krieg den tischtüchern
um die fertigen speisen.

reihenweise

in der ersten reihe
an vorderster front
aus erster hand
an erster stelle
mit hurra dabei
aus der zweiten reihe:
hurerei
aus der dritten:
bis das zu uns kommt.

Waffennarren unter sich – Grußbotschaft zum Hiroshima-Tag 2019

Einen Donald Trump, Boris Johnson, Vladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan oder Matteo Salvini gibt es nicht ohne Liebe zu Waffen. Als Lobbyisten der Waffenindustrie sowieso, aber auch als Profiteure, Chauvinisten und Nationalisten. So hat u.a. Donald Trump auf ein Massaker an Schülern mit der Forderung nach Bewaffnung der Lehrer reagiert oder präsentiert sich Vladimir Putin generell gern mit Waffen, ob auf der Jagd oder mit einer „traditionellen“ Kalaschnikow oder am Schießstand beim Testen einer Hightech-Waffe und lässt Recep Tayyip Erdogan schon seit Jahren keine Gelegenheit zu Kampfposen und für militärische Machtdemonstrationen aus. Matteo Salvini wiederum wurde im EU-Wahlkampf auf Facebook mit einer Maschinenpistole und dem Spruch präsentiert „Man wird versuchen, Salvini zu stoppen. Doch wir sind bewaffnet“. Und Boris Johnson hat vom ersten Augenblick seines Premierministeramts keinen Zweifel an einer „Führungsrolle“ seines Landes durch den bzw. nach dem Austritt von Großbritannien aus der EU gelassen, nach der bereits zuvor beschlossenen „Erneuerung“ der Atomwaffen Großbritanniens.

Wer glaubt, politische Eskalation hat nichts mit Aufrüstung zu, kann sich täglich vom Gegenteil überzeugen. Dass an der Spitze aller Machtlust und Machtphantasien die atomare Rüstung steht, kann niemanden überraschen. Dass es bisher nach Hiroshima und Nagasaki keine Atomschläge gab, sollte niemanden beruhigen. Sie sind jederzeit und überall möglich. Leben jenseits eines eskalierenden Atomkriegs gibt es keines. Nicht mehr und weniger steht auf dem Spiel.

Vielleicht gibt es Länder, in denen man vorübergehend nichts gegen bestehende Diktaturen und Aufrüstungen ausrichten kann, gegen entstehende Diktaturen und als von Diktaturen nicht Betroffener kann man immer etwas gegen Diktaturen und Aufrüstungen tun. Und man kann und muss vor allem in Demokratien etwas dagegen unternehmen. Es ist in keiner Frage wie bei der atomaren Rüstung klarer, dass man sich vorher gegen sie einsetzen muss. Sobald die Waffen da sind, sind sie einsatzfähig und sobald sie einsatzfähig sind, ist ihr Einsatz möglich.

Es darf keine Sekunde Vertrauen in Beteuerungen von der abschreckenden Wirkung von Atomwaffen geben. Einmal eine Fehlfunktion, einmal eine Fehlinterpretation und das war´s. Für Politiker wie Donald Trump, Vladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan, Matteo Salvini, Boris Johnson und all die anderen Nationalisten und Chauvinisten ist das das Spielzeug, aus dem ihre Machtrausch-Träume sind. Man hätte ihnen zwar nie Gelegenheit und die Befugnis für die Ausübung von Ämtern mit derart weitreichenden politischen Handlungsspielräumen und Konsequenzen geben dürfen, es ist aber auch nicht zu spät, sie ihnen wieder zu nehmen.