NEUTRALITÄT IN GEFAHR?

Bedrohung der Neutralität Österreichs durch militärische Kooperationen

von Wilfried Leisch und Peter Degischer

Ein Bericht über eine Besprechung im Rahmen von FriedensAttac am 2. Februar 2021

Die Entstehung der Neutralität Österreichs geht auf die Staatsvertragsverhandlungen vor 1955 zurück. Schweiz sollte als Vorbild dienen. Am 26. Oktober 1955 (nach in Kraft treten des Staatsvertrages vom 15.5.1955) wurde die immerwährende Neutralität beschlossen, d.h. keinem Militärbündnis beizutreten: Neutralitätsgesetz 1955 (parlament.gv.at). Staatsvertrag und der Neutralitätserklärung stellen quasi die völkerrechtliche Stellung Österreichs in der Weltgemeinschaft dar. Seit 1965 ist der 26. Oktober Nationalfeiertag (1956 – 1964 „Tag der Fahne“).

In den 1970er-Jahren, seit der SPÖ-Alleinregierung unter Kreisky, und bis ca. Mitte der 1980er Jahre wurde die Neutralität Österreichs halbwegs ernst genommen, eine eigene Verteidigungsdoktrin auf Basis der sog. „umfassenden Landesverteidigung“ (d.h. geistige, wirtschaftliche und militärische LV) entwickelt und propagiert. Österreich positionierte sich als neutraler Staat als „Vermittler“ in Krisen und Kriegen und nach New York und Genf wurde Wien 1979 zum 3. Standort der UNO.

Spätestens ab der SPÖ-ÖVP-Koalition seit 1986 unter den SPÖ-Kanzlern Vranitzky und den ÖVP-Vizekanzlern Mock, Riegler und Busek wurde der Beitritt Österreichs zur EG (heute EU) verstärkt betrieben: 1989 Antrag, 1994 Volksabstimmung, 1995 Beitritt. Schon vor dem EG-Beitritt, beschloss Österreich 1991 neutralitätswidrig die Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial (Beginn des Krieges in Jugoslawien). 1999 hat die von den USA geführte NATO-Koalition im Kosovokrieg für ihre Luftangriffe in Serbien den österreichischen Luftraum benützt. Gegen die insgesamt 61 Flugzeuge wurde zwar diplomatisch protestiert, aber keine Abfangjäger eingesetzt. Genehmigungen für Militärtransporte durch und über Österreich kann der Hauptausschuss des Parlaments erteilen.

Im Zuge des EG-Beitritts begann die (Teil-)Privatisierung von Staatsbetrieben (Stahl-, Aluminium-, Chemie-, Petro-, Tabakindustrie, Banken, Post, AUA usw.). Damit wurde die Basis für eine wirtschaftliche und ggf. auch militärische Unabhängigkeit, die für die Neutralität wichtig ist, untergraben. Politisch wurde die Neutralität in der Art relativiert, dass man behauptete, in der EU sei Österreich auch „verteidigungspolitisch“ am besten aufgehoben. Manche BH-Offiziere argumentieren, dass Österreichs Neutralität durch eine EU-Armee trotz NATO-Verbindungen geschützt wäre. Zwecks Beteiligung an der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU“ wurde der Artikel 23f der Bundesverfassung geschaffen, der Österreich die Teilnahme an humanitären Aufgaben und Rettungseinsätzen, friedenserhaltenden Aufgaben sowie Kampfeinsätzen bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen (Petersberg-Aufgaben) ermöglicht.

Die schwarz-blaue Regierung unter Schüssel (2000 – 2007) stellte sogar eine NATO-Mitgliedschaft zur Diskussion. Bei der EU-Wahl 2019 setzten sich die NEOS für eine EU-Armee ein.

EU-PESCO (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit – SSZ): im Rahmen der Europäische Verteidigungsagentur (EDA) | Europäische Union (europa.eu)  (Dänemark und GB sind nicht dabei) unterzeichneten die Regierungschefs von 25 Mitgliedsstaaten (inkl. Österreich, ohne GB, Malta und Dänemark) ein Abkommen im Bereich der Verteidigungsinvestitionen und der Fähigkeitsentwicklung zur Einsatzbereitschaft. Im Vertrag von Lissabon ist eine gemeinsame Verteidigungspolitik vorgesehen. Österreich dürfte aufgrund seiner Neutralität an der EU-Aufrüstung nicht mitmachen:
atomgegner.at/wp-content/uploads/2019/12/ggae_5-19_NEU_Endf-1.pdf.
Außerdem sind die meisten EU-Mitgliedsstaaten bei der NATO. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt, dass „PESCO der EU-Arm der NATO“ ist: 
atomgegner.at/wp-content/uploads/2020/02/PESCO-EU-Arm-der-NATO.pdf
Bisher wurden vom EU-Rat 34 SSZ-Projekte angenommen (EU-Sanitätskommando, Ausbildungsmissionen, Cybersicherheit, Katastrophenhilfe, Meeres- und Weltraumüberwachung, Helikopterschulungen, Nachrichtendienste, Nutzung von Übersee-Stützpunkten…).

Die nationalen Umsetzungspläne sollen jährlich vom EU-Rat überprüft werden. Der europäische Verteidigungsfonds bietet erhöhte Ko-Finanzierung für Forschung und Entwicklung. SSZ gilt nicht als Militärpakt, da die Einsatzentscheidung beim Mitgliedsstaat bleibt. pesco_factsheet_november_2018_de_0.pdf (europa.eu): „gemeinsames Handeln stärkt die Souveränität, wobei die einzelstaatliche Souveränität nicht eingeschränkt wird“. Hier ist anzumerken, wenn von „stärkt die Souveränität“ geschrieben wird, so etwas wie EU-Souveränität gemeint ist. Daher ist zu klarzustellen was das heißt, wenn ein EU-Land da mitmacht. Gibt es dabei seine Souveränität auf?  

Umso mehr ist es verwunderlich, dass diese Zusammenarbeit im Parlament nicht erörtert wurde. Die EU-PESCO Teilnahme wurde 2017 noch während der SPÖ-ÖVP-Regierung unter SPÖ-Kanzler Kern und SPÖ-Verteidigungsminister Doskozil vom damaligen ÖVP-Außenminister Kurz unterschrieben. Sowohl die türkis-blaue Regierung als auch die Übergangsregierung unter der ÖVP-nahen Kanzlerin Bierlein, und Verteidigungsminister Starlinger sowie jetzt die türkis-grüne Regierung unter Kanzler Kurz und Verteidigungsministerin Tanner (beide türkis) haben die ersten EU-PESCO-Projekte beantragt und gestartet.  Es ist
anzunehmen, dass Motive dazu die europäische Kooperation von Bundesheermitgliedern und die Aussicht auf EU-Förderungsmittel sind.  

FriedensAttac als auch die anderen Mitglieder von AbfaNG sehen weder eine Nützlichkeit noch eine Notwendigkeit bei PESCO mitzumachen, die als
neutralitätswidrig bewertet wird. Der Ausstieg wird verlangt.

2005 beschloss der EU-Rat die Schaffung von nicht ständigen Battlegroups, mit denen die EU im Rahmen der Europäischen Sicherheitsstrategie ihre Fähigkeit verbessern will, nach einer entsprechenden politischen Entscheidung schnell auch militärisch auf Krisen und Konflikte reagieren zu können. Einsätze sollen in erster Linie mandatiert durch die Vereinten Nationen erfolgen. Neben dem rein militärischen Aspekt ist das EU-Battlegroup-Konzept im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch als ein Schritt zur Schaffung eines Konsultations-, Planungs- und Entscheidungsmechanismus innerhalb der EU von Bedeutung. EU Battlegroup. Bundesheereinheiten haben schon des Öfteren an diesbezüglichen Einsatzübungen teilgenommen. Es stellt sich die Frage der Vereinbarkeit mit der Neutralität, sowie der fehlenden parlamentarischen Genehmigung.
> Thomas Roithner hat dazu einen klärenden Beitrag geschrieben „Österreich und die Militarisierung der Europäischen Union “ 
> Beitrag von Wilfried Leisch in der Wiener Zeitung
„Von Österreich geht keine Kriegsgefahr aus“ (18.8.2020) 

Die NATO-Partnerschaft für den Frieden (engl. Partnership for Peace; PfP) ist ein 1994 ins Leben gerufener Vertrag zur militärischen Zusammenarbeit zwischen der NATO und 20 Staaten, die keine NATO-Mitglieder sind. Das Ausmaß der Zusammenarbeit kann von jedem teilnehmenden Staat selbst bestimmt werden (gilt somit nicht als Militärbündnis). Mitgliedsstaaten sind neben den NATO-Staaten: NATO – Topic: Signatures of Partnership for Peace Framework Document (country, name & date) Die ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan,
Kirgisistan, Moldau, Russland[1], Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weißrussland, die ehemaligen jugoslawischen Republiken Bosnien und Herzegowina und Serbien, die EU-Staaten Finnland, Irland, Malta, Österreich (1995 A. Mock) und Schweden, sowie die Schweiz.
Die Türkei blockiert derzeit die aktive Teilnahme Österreichs an PfP-NATO Übungen.
Partnership for Peace (PfP) – ÖV NATO Brüssel – Ständige Vertretung bei der NATO (bmeia.gv.at)
Nato Ziele, siehe Broschüre „NATO 2030: United for a new Era“   

Seit August 2020 kooperiert das BH mit der US-Nationalgarde: gemeinsame Übungen und Austausch von Expert:innen. Die Teilnahme am State Partnership Program wurde zwischen US-Außenminister Pompeo und BM Tanner beschlossen: „Wir können wechselseitig voneinander profitieren“. Wobei?

16 Bundesheerangehörige sind in Afghanistan eingesetzt zur Schulung der Sicherheitskräfte im Rahmen der NATO-Resolute Support Mission. Wozu? (nicht zur Betreuung der abgeschobenen Flüchtlinge)

Seit 1960  nahm (bzw. nimmt bis heute) Österreich mit insgesamt 100.000 Soldaten und zivilen Helfern an über 100 internationalen Missionen teil. Derzeit im Libanon, in Mali, auf Zypern, in der Westsahara und im Nahen Osten, in Zypern, in Georgien, am Balkan.
> Unser Heer 2030: Bundesheer – Auslandseinsätze – Zahlen, Daten, Fakten

Eine Anfrage an den Verteidigungsausschuss wird angeregt, welche Einsätze ohne UNO-Ermächtigung erfolgten?
Landesverteidigungsausschuss (parlament.gv.at)

Das Interesse an militärischen Kooperationen könnte u.a. auch durch zu erwartende Rüstungsaufträge (inkl. als Zulieferer für dt.Unternehmen) begründet sein, aber dient sicher auch dem Prestigegewinn der BH-Offiziere. Thomas Starlinger (Verteidigungsminister 2009/10 Thomas Starlinger – Wikipedia) war 2003 – 2007 bei der Europäischen Verteidigungsagentur in Brüssel, erhielt 2018 die Fähigkeitsbescheinigung der NATO, streitkräfteübergreifende Einsätze zu planen. Er erstellte einen Zustandsbericht des BH und einen Budgetplan für das BH über 5 Mrd.€. Der ÖVP EU-Abgeordenete Lukas Mandl unterstreicht das Geschäft, das aus der Rüstung der EU für die Wirtschaft zu erwarten ist:
24. Europaforum: Europas Sicherheitspolitik auf dem Prüfstand (6. Nov. 2020)
> Video Europaforum: Europe’s Security Policy under Scrutiny

Aus Sicht der Neutralität Österreichs sind sowohl die Teilnahme an den EU-Battlegroups, an EU-PESCO, an NATO-Partnerschaft für den Frieden, an der Kooperation mit der USA-Nationalgarde abzulehnen. Wäre eine Klärung über eine Verfassungsklage gegen Militärkooperationen aussichtsreich? Wer kann klagen?

Abschießend hielt Wilfried Leisch fest:

  • Die EU hat viele verschiedene Finanzierungstöpfe, die verdeckt oder offen der Aufrüstung und Militarisierung dienen. Einer der Punkte, die im PESCO-Programm auch enthalten sind, ist das Militärtauglichmachen der Verkehrswege in der EU.
  • Egal wie die Maßnahmen der EU sich in diesem als „Sicherheitspolitik“ getarnten Zusammenhang auch benennen, für Österreich als neutraler Staat bedeutet das eben, an den militärischen Tätigkeiten bis hin zu Vor-Ort-Einsätzen in Krisen und Kriegen von einzelnen EU-Großmächten oder der EU als „Gesamt-Großmacht“ eben doch teilzunehmen. Aber gerade das, nie wieder im Interesse von Großmächten sich in Krisen und Kriege ziehen zu lassen, war die Lehre aus zwei Weltkriegen, der Grund für die Neutralitätserklärung!
  • Da laut Umfragen 80% und mehr Prozent der Österreicher:innen für die Neutralität und gegen Aufrüstung und Kriegsteilnahme sind, tarnen Österreichs Regierungen und die Militärs alle Maßnahmen als sicherheitspolitisch notwendig, daher friedenssichernd und mit der Neutralität vereinbar. Für uns Friedens- und Antikriegsaktivisten bedeutet das, dass wir genau die 80% hinter uns haben und deshalb die Aufklärung so wichtig ist, um der 80%-Neutralitätszustimmung eine fundierte Grundlage zu geben. Das und nur das wird es Österreichs Regierungen und den Militärs schwer machen, ihre Pläne als Friedens- und neutralitätssichernd hinzustellen.

Und Peter Degischer regte folgendes an:

  • Die Friedensmission der EU soll sich auf Diplomatie in Krisenregionen konzentrieren statt auf militärische Aufrüstung, die nicht der Sicherheit der Bürger:innen dient.
  • Was AbFaNG in Österreich fordert, also internationale „Friedensarbeit“ und aktive Neutralität, sollte auch für die EU gelten –  z.B. aktive Vermittlungsbemühungen im Konflikt zwischen Iran und USA, Friedenstiftung im mittleren Osten[2], etc. Er hat die Vision einer neutrale EU und keiner NATO-Partnerschaften der Mitglieder. Tritt dies ein, könnte es auch EU-Militäreinheiten geben, die aber dem EU-Parlament (oder einer künftigen EU-Länderkammer statt dem EU-Rat) und der UNO zu unterstellen sind.      

Fußnoten:

[1] Es ist unklar, ob die PfP-Kooperation mit Russland noch aufrecht ist. Es gibt ein NATO-Russia Council (NRC) Nato-Russia Council – About

[2] Die üblicherweise im Okzident verwendeten Bezeichnungen „Naher Osten“ und „Mittlerer Osten“ offenbaren eine eindeutig aus der Zeit des Kolonialismus stammende eurozentrische Sicht. Um diese Konnotation zu vermeiden, wäre es besser die Begriffe „Maghreb“ (= der Raum von Marokko bis zur Westgrenze Ägyptens) und „Maschrek“ (=  der arabische Raum von Westgrenze Ägyptens bis zum Arabisch-Persischen Golf) zu verwenden. Allerdings sind diese Begriffe hierzulande weithin unbekannt.

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(19. Aug. 2020) Von Österreich geht keine Kriegsgefahr aus, meint Autor Wilfried Leisch in seinem Gastkommentar in der Wiener Zeitung. Vor allem Großmächte sowie wirtschaftliche, politische und insbesondere militärische Bündnisse streiten um Wirtschaftsräume, Einflusssphären, Rohstoffquellen auf der Welt und schrecken zur Verfolgung dieser Ziele auch vor Wirtschafts- und Handelskriegen sowie vor Aufrüstung und Krieg nicht zurück. Österreichs Erklärung zur „immerwährenden Neutralität“ ist die Lehre aus zwei Weltkriegen. – Widersprechen die von Österreich in den letzten Jahren unterzeichneten EU-Abkommen der Neutralität?

Kriegsermächtigungsartikel 23f/j: Kalter Verfassungs- und Völkerrechtsbruch

Quelle: Friedenskalender 2019 (Solidarwerkstatt)

Wien, 18. Juni 1998, Parlamentsplenum. 11.30 Uhr. Die Abgeordneten von SPÖ, ÖVP und Liberalen erheben sich von ihren Sitzen. Der novellierte Artikel 23f wird damit in die österreichische Bundesverfassung aufgenommen. Österreich kann nun wieder in Kriege ziehen, in EU-Kriege, weltweit. Ohne öffentliche Debatte in einer parlamentarischen Nacht- und Nebelaktion – per Initiativantrag unmittelbar vor der Sommerpause – peitschten SPÖ und ÖVP den Artikel 23f (später in Artikel 23j umbenannt) durch das Parlament.

Der Artikel 23j B-VG ist ein Kriegsermächtigungsartikel. Er ermächtigt Kanzler(in) und Außenminister(in), Kriegen in den EU-Gremien zuzustimmen und ermöglicht es der Regierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats, österreichische Truppen in EU-Kriege zu schicken. Er stellte eine Vorleistung auf die Veränderung des EU-Vertrages dar. Denn mit dem EU-Vertrag von Amsterdam, der ein Jahr später in Kraft trat, wandelte sich die EU selbst zu einem Bündnis zum Kriegführen, im Amsterdamer Vertrag der EU vornehm mit „Kampfeinsätze zur Krisenbewältigung“ (damals: Artikel 17 Abs. 2, EUV) umschrieben. Für diese „Kampfeinsätze“ finden sich keinerlei geografische Beschränkungen (z. B. Verteidigung des EU-Territoriums), ebenso ist keine Bindung an ein Mandat des UN-Sicherheitsrates vorgesehen.

Der Kriegsermächtigungsartikel 23j B-VG steht im offenen Widerspruch zur Neutralität, deren Kerngehalt es eben ist, an keiner Art von Kriegen teilzunehmen. Entsprechend bejubelte der damalige ÖVP-Klubobmann Andreas Khol den novellierten Artikel 23f: „Damit wird die Neutralität für den Bereich der EU außer Kraft gesetzt“ (Salzburger Nachrichten, 29.5.1998). Diese Aussage beschreibt zwar das Ziel der Machteliten, ist aber für jene, die an rechtsstaatlichen Prinzipien festhalten, ebenso skandalös wie unhaltbar. Als Grundpfeiler der Verfassung kann die Neutralität nur per Volksabstimmung verfassungskonform getilgt werden, und als völkerrechtliche Verpflichtung gegenüber der Staatengemeinschaft ist die Neutralität nicht durch einen einseitigen Akt aus der Welt zu schaffen. Mit dem Artikel 23f haben sich die österreichischen Machteliten in Widerspruch zu Verfassung und Völkerrecht gestellt. Letzteres sogar überdeutlich, indem in den Erläuterungen zum Artikel 23f ausgeführt wurde, dass die Beteiligung an EU-Kriegen „auch für den Fall gilt, dass eine solche Maßnahme nicht in Durchführung eines Beschlusses des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ergriffen wird“. Damit wurde die Bereitschaft zum Bruch von Völkerrecht in die Verfassung eingeschleust, um bei EU-Kriegen mitmarschieren zu können.

Das Kriegsmaterial-Transportegesetz: 1977 bis 2017

Quelle: Friedenskalender 2019 (Solidarwerkstatt)

Die Geschichte des österreichischen Kriegsmaterialgesetzes spiegelt die außen- und innenpolitischen Veränderungen – insbesondere im Gefolge des EU-Beitritts wider.

1977: Der österreichische Nationalrat beschließt das Kriegsmaterialgesetz, das Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsgerät einer Genehmigungspflicht durch die Regierung unterwirft. Eine solche Genehmigung darf nur unter besonderem Bedacht auf die immerwährende Neutralität Österreichs erteilt werden.

1981: FriedensdemonstrantInnen versuchen die Auslieferung von Kürassierpanzern aus dem Steyr-Werk in Simmering zu blockieren; die Panzer wurden von der argentinischen Militärjunta bestellt. Der Waffenexport kann zwar nicht verhindert werden, die öffentlichen Auseinandersetzungen führen aber zur Verschärfung des Kriegsmaterialgesetzes im Jahr 1982. Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsgerät werden  in Länder verboten, in denen bewaffnete Konflikte herrschen bzw. die Gefahr besteht, dass die Waffen zur Unterdrückung von Menschenrechten eingesetzt werden.

1991: Im Jänner beschließt der Nationalrat überfallsartig die Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes, um die Durchfuhr von Waffen für den soeben begonnenen Krieg gegen den Irak zu ermöglichen. Der damalige Europa-Staatssekretär Jankowitsch erläuterte offen die Beweggründe für diese Novellierung: „Wir müssen uns auf die Pflichten eines EG-Mitglieds vorbereiten“ (zit. nach Lorenz Glatz, Wien, 23.4.2001). In den darauf folgenden Wochen werden auf den ÖBB-Gleisen eine Vielzahl von US-„Bergepanzer“ durch Österreich transportiert. Erst Monate später sickert durch, dass im Irak riesige Baggerschaufeln auf diese „Bergepanzer“ montiert wurden, um damit tausende irakische Soldaten bei lebendigem Leib in ihren Stellungen im Wüstensand zu begraben. Die „Vorbereitung auf die Pflichten eines EU-Mitglieds“ beginnt mit Beihilfe zum Massenschlachten.

2001: Der Kriegsmaterialgesetz wird erneut novelliert: Die Verpflichtung zur „Bedachtnahme auf die Neutralität“ wird gestrichen; sobald Kriege durch die EU mandatiert sind, kann die Ein-, Durch- und Ausfuhr von Kriegsgerät erfolgen. Nicht einmal der Ministerrat, geschweige denn das Parlament müssen mehr angefragt werden; es reicht das „Einvernehmen“ von Verteidigungs- und Außenministerium, um Kriegsmaterial und Truppen durch Österreich durchzuwinken. Und diese winken viel durch: So ergab eine Parlamentarische Anfrage, dass alleine zwischen 2011 und 2015 insgesamt 5.593 Militärtransporte durch Österreich genehmigt und durchgeführt wurden. Darunter auch die Transporte von Kriegsgerät in den Libyenkrieg. Die Zahl der Überflugsgenehmigungen wurde geheim gehalten.

2017: Im November unterschreibt Außenminister Sebastian Kurz den Beitritt Österreichs zur „Ständig Strukturierten Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/PESCO). Diese sieht unter anderem vor, dass die Transportwege der EU-Staaten mit vielen Milliarden für schweres Kriegsgeräte „fit“ gemacht werden sollen, um rasch Richtung Osten zu rollen. Anstatt endlich die eigenen Verkehrswege für die neutralitätswidrigen NATO- und EU-Kriegsmaterialtransporte dicht zu machen, will die österreichische Regierung nun sogar EU-weit dafür sorgen, dass Waffen und Truppen uneingeschränkt für den Krieg rollen.