ATOMWAFFENSPERRVERTRAG

Höchste Zeit für ein internationales Verbot der Nuklearwaffen

von Klaus Renoldner (IPPNW) und Wolfgang Kopetzky (ÖRK)

Gemeinsame Stellungnahme des Österreichischen Roten Kreuzes und von OMEGA/IPPNW-Österreich anlässlich der im Frühjahr 2012 in Wien tagenden Vorbereitungskommission für die Überprüfungskonferenz des Vertrags über die Nicht-Verbreitung von Nuklearwaffen (NPT). (Anmerkung: 2021 findet die nächste Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags NVV statt. – Der NVV ist nicht zu verwechseln mit dem AVV, dem am 22.1.2021 in Kraft getretenen Atomwaffenverbotsvertrag.)

Jakob Kellenberger, der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (ICRC), forderte in einer Rede 2009 ein internationales Nuklearwaffenverbot. Diese Haltung wurde Ende 2011 vom Delegiertenrat der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung offiziell bestätigt. Damit schließt sich auch das Rote Kreuz der Forderung all jener an, die schon bisher die Zerstörung aller Atomwaffen und wirksame Maßnahmen gegen die wachsende Gefahr nuklearer Kriege gefordert haben – darunter auch die IPPNW (Internationalen Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs), die für ihre Arbeit und wissenschaftlichen Publikationen über die verheerenden Folgen eines eventuellen Atomkriegs auf die Gesundheit und für ihre Bemühungen um ein Kernwaffenverbot und die Appelle an die Politik 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Der Sachverhalt ist klar

Atomwaffen sind grausame und unterschiedslos wirkende Massenvernichtungswaffen, die auch gegen völkerrechtlich geschützte Zivilpersonen wirken und die das Potential in sich tragen, die gesamte Menschheit und den Großteil des Lebens auf der Erde zu vernichten. Das Risiko, dass sie eines Tages – vielleicht nur auf Grund eines Irrtums – eingesetzt werden oder dass Terroristen sich solcher Waffen bemächtigen und sie gegen Zivilisten einsetzen ist einfach zu groß. Diese Waffen machen die Welt nicht sicherer, ganz im Gegenteil: sie müssen verboten und vernichtet werden, damit die Welt sicherer wird.

Schon die nach heutigen Maßstäben relativ kleine 20 Kilotonnen-Bombe, die am 6. August 1945 über Hiroshima abgeworfen wurde, tötete mit einem Schlag über 100.000 Menschen. Heute existierende Megatonnen-Nuklearsprengköpfe können eine Metropole mit einer Million Menschen mit einem Schlag vernichten. Wenn alles verbrannt und zerstört ist, dann funktioniert auch keine medizinische Hilfe mehr. Die Opfer sind größtenteils Zivilisten. Die Explosion mehrerer Nuklearsprengkörper in einem Atomkrieg hätte neben der Vernichtung von Millionen auch lange andauernde ökologische Schäden und Hungersnot zur Folge. Die Gesamtzahl der existierenden Atomwaffen wäre theoretisch in der Lage, die gesamte Erde mehrfach zu vernichten.
Es existieren immer noch über 13.400 einsatzfähige Nuklearsprengköpfe, 90% davon in den Händen der beiden großen Atommächte USA und Russland. Weitere Atommächte sind England, Frankreich und China, die wie USA und Russland als Atomstaaten den Nicht-Verbreitungs-Vertrag unterzeichnet haben. Und daneben gibt es die Nicht-Unterzeichner, Indien, Pakistan und Israel sowie Nordkorea, das aus dem Vertrag wieder ausgeschieden ist.

Deterrence – die angebliche abschreckende Wirkung

Immer noch kursiert die Ansicht von der abschreckenden Wirkung der Nuklearwaffen, aber die logische Folge daraus wäre, dass alle Länder, um besonders sicher zu sein, Atomwaffen besitzen müssten. Obwohl diese Logik nicht stimmt, sondern ein derartiger Zustand die Welt extrem unsicher machen würde, wurden die Arsenale nur langsam etwa über die START-Verträge reduziert. Die Nuklearmächte sind bisher ihrer Verpflichtung aus Artikel VI des Nicht-Verbreitungs-Vertrags zu einer totalen nuklearen Abrüstung nicht nachgekommen. Und das, obwohl ein „Global Zero“ von der großen Mehrheit aller Staaten der Welt, von vielen Wissenschaftlern, Ärzten, Diplomaten und der Bürgermeister-Initiative Mayors for Peace des Oberbürgermeisters Akiba von Hiroshima, der sich über 5.000 Bürgermeister von Weltstädten angeschlossen haben, und nun auch von der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung verlangt wird.

Wir haben keine andere Wahl, das haben auch die großen Analysen wie der Bericht der Canberra-Kommission von 1996 und der Bericht „Weapons of Terror“ der Hans Blix-Kommission über Massenvernichtungswaffen von 2006 ergeben. Inzwischen gibt es mehrere Publikationen, auch von den Vereinten Nationen, die die Fehlentwicklung und Gefahr von Abschreckungsdoktrinen aufzeigen und eine Delegitimisierung der Deterrence als einzigen Ausweg fordern.

Nuklearwaffen sind Waffen der unterschiedslosen globalen Zerstörung und des Völkermordes, ihr Einsatz im Einklang mit den geltenden Regeln des humanitären Völkerrechts ist kaum vorstellbar (so der Internationale Gerichtshof vom Juli 1996), sie verbrauchen ungeheuer viel Geld, Energie und Intelligenz, die ganz dringend zur Lösung anderer globaler Fragen benötigt würde. Und vor allem, je länger die Menschheit mit einem Verbot zuwartet und nichts gegen die Gefahr und das Risiko unternimmt, desto komplizierter und gefährlicher kann die Sache werden.

Terrorismus

Wir wissen heute, dass Terrorismus vielerorts eine Gefahr darstellt, aber wir wissen auch, dass Nuklearwaffen in keiner Weise den Terror bekämpfen, abschrecken oder verhindern können. Ein Attentäter, der bereit ist, sein eigenes Leben bei der Vernichtung vieler anderer zu zerstören, wird sich durch keine Bedrohungen abschrecken lassen. Und jeder Einsatz von Nuklearwaffen trifft mit seiner katastrophalen Zerstörung größtenteils Zivilpersonen – genau das, was Terroristen in der Regel wollen.

Reaching Critical Will

Viele Analysten betonen, dass die Zivilgesellschaft viel stärker dieses „Global Zero“, also die totale Ächtung Nuklearwaffen und die Entlegitimisierung der Nuklearen Abschreckung (Nuclear Deterrence) einfordern muss. Wir wissen von Meinungsumfragen, dass die große Mehrheit aller Menschen in einer Welt ohne Nuklearwaffen leben möchte, aber diese Mehrheit ist offensichtlich nicht stark genug, um sich durchzusetzen, auch nicht in demokratischen Nuklearwaffenstaaten.
Deshalb trägt eine der internationalen NGOs, die sich seit Jahren für ein Nuklearwaffenverbot einsetzt auch den Namen „Reaching Critical Will“.

Es ist also unsere Aufgabe, hier nicht locker zu lassen und alle Bemühungen zu unternehmen und zu unterstützen, die auf ein Kernwaffenverbot, eine Nuclear Weapons Convention abzielen.Die IPPNW und das Rote Kreuz sprechen sich klar für ein Global Zero und für alle notwendigen Schritte aus, die zur endgültigen Beseitigung der nuklearen Bedrohung dieser Welt notwendig sind.

 Quelle: http://www.renoldner.eu/start.asp?b=3

Anmerkungen der Redaktion:
Dieser Beitrag von Dr. Klaus Renoldner wurde bereits vor einigen Jahren geschrieben. Er ist heute aktueller denn je.

Obwohl der Atomwaffensperrvertrag (NVV) seit über 50 Jahren in Kraft ist, hat sich in Richtung atomarer Abrüstung kaum etwas bewegt. Erfreulicherweise trat am 22. Jänner 2021 ein komplett neu strukturierter Vertrag, der Atomwaffenverbotsvertrag AVV oder engl. TPNW in Kraft. Dieser bietet eine neue Perspektive und ist in punkto Abrüstung hoffentlich erfolgreicher als der Sperrvertrag.

Der NVV – Vertrag über die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen ist ein internationaler Vertrag, der das Verbot der Verbreitung und die Verpflichtung zur Abrüstung von Kernwaffen sowie das Recht auf die „friedliche Nutzung“ der Kernenergie zum Gegenstand hat. Im Atomwaffensperrvertrag verzichten die Unterzeichnerstaaten, die nicht im Besitz von Kernwaffen sind, u.a. auf den Erwerb von Atomwaffen. Der Atomwaffensperrvertrag hatte bisher eine ambivalente Wirkung: einerseits hält er die Zahl der Atommächte klein, andererseits festigt er die globale militärische Ungleichheit und teilt die Welt in Staaten mit und ohne Atomwaffen. In Richtung Abrüstung war der NVV-Vertrag bisher nicht erfolgreich.