Die EU - Eine Friedensunion?

„Die EU auf dem Weg zur Kriegsunion“

Unter diesem Titel veranstalteten die GewerkschafterInnen gegen Atomenergie und Krieg und das Österreichischen Solidaritätskomitee im Mai 2019 eine Podiumsdiskussion. Hier die Stellungsnahme des Friedensforschers Thomas Roithner. 

„ … Ob man das will oder nicht: Wer heute mehr Europäische Union fordert, fordert automatisch, leider, zwangsläufig auch mehr Militär. Ich möchte klären, warum das so ist und was man tun kann. Wir befinden uns gerade inmitten einer Phase, die im Juni 2016 begonnen hat und bis Anfang 2021 dauern wird. Warum dieser Zeitraum? Im Juni 2016 haben zwei Ereignisse stattgefunden: das eine war das Referendum in Großbritannien über den Austritt aus der EU. Großbritannien hat stets gesagt, dass deren Sicherheit transatlantisch organisiert ist. Was bedeutet, dass USA und NATO immer mit am Tisch sitzen. Großbritannien ist dagegen, dass die EU autonom agiert und für ihr militärisches Intervenieren, Eingreifen und militärisches Aktivwerden nicht die NATO benötigt. Der zweite Beschluss, der im Juni 2016 gefallen ist, ist der über die Globalstrategie der EU. Das ist der Plan, dass im gesamten militärischen Spektrum an land-, luft- weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen notwendig sind. Seit diesen beiden nun gemeinsam zu sehenden Entscheidungen vom Juni 2016 geht es mit der militärischen Entwicklung der EU sehr rasch. Und diese Phase wird bis zum Beginn der neuen EU-Haushaltsperiode ab 2021 andauern. Dann wird die Entwicklung aus heutiger Sicht noch rascher gehen. Katalysator dieser Entwicklung sind – wie gesagt – erstens das Austrittsreferendum in Großbritannien, zweitens die US-Politik seit der Präsidentschaft Trump, drittens die Versicherheitlichung der Frage, dass Menschen vor Armut und Krieg davonlaufen und viertens der Aufstieg Chinas.

Mehr Muskeln und operative Truppen

Die EU zieht die Konsequenz: Mehr Muskeln und operative Truppen. Einige EU-Staaten wollten schon lange ein militärisches EU-Hauptquartier. Die Briten sagten stets, dass sie kein Hauptquartier benötigen und alles mit der NATO besprechen. Ohne die Briten gibt es nun zumindest für einen wesentlichen Teil der Einsätze das militärische Hauptquartier. Bei Auslandseinsätzen gibt es zahlreihe Entwicklungen. Erstens wurden seit 2003 etwa drei Dutzend Auslandseinsätze getätigt. Ein Drittel sind militärisch, zwei Drittel zivil. Doch 80 % des gesamten eingesetzten Personals sind Militärs. Zweitens, die EU-Battlegroups. Sie sind u.a. für schwere Kampfeinsätze, man trainiert sie seit gut 10 Jahren, aber sie wurden noch nie eingesetzt. Der Grund: politische und finanzielle Uneinigkeit. Nun ist Großbritannien draußen und das Kostenproblem ist gelöst.

Einsätze der EU-Battlegroups sind künftig Gemeinschaftskosten und nicht primär nationale Kosten. Und ein dritter Punkt ist die militärische Mobilität. Es geht um den Transport von schweren Waffengattungen. Ein Panzer – der Leopard wiegt 60 Tonnen – kann nicht einfach quer durch die EU transportiert werden. Es werden verstärkte Straßen, Schienen oder Brücken benötigt. Deswegen soll das nun alles für das Militär fit gemacht werden, quasi als „militärisches Schengen“ und Rüstung kann sich frei in der EU bewegen. Für die Haushaltsperiode 2021 – 2027 sind dafür 6,5 Milliarden Euro veranschlagt. Wichtig ist festzustellen, dass dies ein Budget ist, welches es vorher nicht gab, also neues Geld ist.

FAKTEN

    • Die EU tätigte seit 2003 etwa drei Dutzend Auslandseinsätze, davon 1/3  militärisch, 2/3 zivil, jedoch 80% des gesamten eingesetzten Personals waren Militärs
    • In der EU-Haushaltsperiode 2021 – 2027 sind für Einsätze vorgesehen:
         €  6,5 Mrd. für die Verbesserung der militärischen Mobilität
         € 10,6 Mrd. für die sog. „Peace Facility“
    • In der EU-Haushaltsperiode 2021 – 2027 sind für Rüstung vorgesehen:
         € 13 Mrd. für Forschung und Entwicklung 

Im Bereich Einsätze gibt es auch die sogenannte „Peace Facility“. Ziel sind globale Militäreinsätze, die im Interesse der EU sind, aber nicht von der Union durchgeführt werden. Anderen Akteuren werden Training, Ausrüstung oder militärische Infrastruktur bezahlt. Auch das ist ein Budget, das es bisher nicht gab, nämlich 10,6 Milliarden für die Periode von 2021 – 2027. Der Trick: es ist „EU off-budget“. Ohne Großbritannien ging’s auch hier sehr schnell.

Die Einsätze waren der erste Teil und jetzt sprechen wir über die Rüstung. In der kommenden Haushaltsperiode 2021 – 2027 stehen für Forschung und Entwicklung von Rüstung 13 Milliarden Euro zur Verfügung. Für Forschung werden 4,1 Milliarden investiert, wobei die EU für die beschlossenen Projekte 100% bezahlt. Die Entwicklung von Rüstung ist mit 8,9 Milliarden Euro eingeplant. Die Entwicklungskosten werden zwischen 20% und 80% von der EU übernommen. Natürlich ist das Geld der Steuerzahler aus den Nationalstaaten und auch das ist ein Budget ab 2021 – im geringeren Maß auch bereits vorher –, welches es bisher nicht gab. Wenn die EU bei der Entwicklung nur einen Teil bezahlt, müssen die Mitgliedstaaten den Rest bezahlen. Wir reden von einem Gesamtbetrag von rund 50 Milliarden Euro. Und erst dann müssen wir uns Gedanken machen, wer diese Rüstung eigentlich kauft. Und das wird dann richtig teuer.

Unsere Aufmerksamkeit müssen wir auch auf das militärische Kerneuropa – die Ständig Strukturierte Zusammenarbeit SSZ oder PESCO – richten. Dabei geht es u.a. um Eurodrohne, EuroArtillery oder einen EU-Kampfhubschrauber. Fixes Vorhaben für die teilnehmenden Staaten – darunter auch Österreich – ist die reale Aufstockung der Verteidigungshaushalte. Darüber hinaus geht es auch um die Entwicklung eines neuen Kampfjets, dem Nachfolger des Eurofighter. Je mehr Rüstung erzeugt wird, desto niedriger die Stückkosten, desto höher auch die Rüstungsexporte. Nach den USA verkaufen die EU-Staaten die zweitmeisten Waffen in alle Welt, nämlich 27%. Die vorige EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hat gesagt: „Wer den Frieden will muss sich rüsten.“ Und genauso schaut das Programm der EU aus. PESCO gibt es eigentlich seit dem Vertrag von Lissabon 2007. Seit dem Referendum in Großbritannien sind die Projekt allerdings erst operativ.

… Zum Friedenserhalt haben wir in Österreich ein ganz wichtiges Instrument: Die immerwährende Neutralität. Im Kern ist die Neutralität ein Ausdruck einer Haltung der Kriegsverweigerung. Und so sollen wir sie benutzen in der EU. 80% der Menschen sehen die Neutralität als „sehr wichtig“ oder „eher wichtig“. Jedoch wissen sehr viele Menschen wenig über den militärischen Charakter der EU. Diese Lücke gilt es zu schließen …

Der Europaparlamentarier Jürgen Wagner veröffentlichte eine Studie zu PESCO. PESCO ist der Grundstein einer aktuell im Aufbau befindlichen „Europäischen Verteidigungsunion“. Doch geht es wirklich um „Verteidigung“? Steckt hinter PESCO also ein notwendiger Schritt für eine effizientere und internationalistischere Außen- und Militärpolitik im Sinne progressiver „europäischer Werte“, wie einige  beschwören? Oder muss man nicht das Aussprechen, was wirklich geplant ist:
Sicherung von Wirtschafts- und Handelsinteressen auch durch militärische Strukturen und Aufbau einer Großmachtstellung der EU in der Welt.

Ursula von der Leyen sprach es  im Februar 2020 sehr direkt aus: „Es geht um ein Europa, das auch militärisch mehr Gewicht in die Waagschale werfen kann. Der Aufbau von Fähigkeiten und Strukturen ist das eine. Das andere ist der gemeinsame Wille, das militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen, wenn es die Umstände erfordern.“ In Wahrheit dient PESCO einem deutschfranzösisch dominierten europäischen Militär- und Rüstungskomplex, der vorangetrieben werden soll.

> download der Studie (44 Seiten, 3,6 MB)

Die Neutralität ist ein Projekt zur Verweigerung von Krieg

Daher hat ein dauernd neutraler Staat auch in Friedenszeiten vorzusorgen, sich in einem Kriegsfall Handlungsspielräume zu wahren – zwischen wem, wann und wo auch immer. Das bedeutet auch, aktiv Beiträge zur zivilen Krisenprävention zu leisten. Sie kennen alle den Spruch: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“. Heute könnte das abgewandelt werden: „Stell dir vor, es ist Krieg und er heißt nicht mehr Krieg!“ Es werden „humanitäre Interventionen“ durchgeführt, es werden „Stabilisierungsmaßnahmen“ getätigt, es wird „Krisenmanagement“ gemacht, wir „projizieren“ unsere Streitkräfte oder nehmen „Schutzverantwortung“ wahr. Es wird stark verklausuliert, um was es da tatsächlich geht: Um Truppenentsendungen zur Durchsetzung von Interessen. Die Neutralität ist hier besonders wichtig. Leonard Nimoy, Mr. Spock, würde sagen: Neutralität – lebe lange und in Frieden.

In Österreich gibt es etwa 11.000 Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie, mit den damit unmittelbar verbundenen Arbeitsplätzen sind wir bei rund 20.000. Bei rund 3,7 Millionen Beschäftigten bedeutet das: nur 0,3% der ArbeitnehmerInnen sind direkt für die Rüstung tätig. Das sind meist hochspezialisierte Kräfte, die sind gefragt. Sie finden zum Teil sicher leicht einen anderen Arbeitsplatz. Das heißt, dass das so schwerwiegende Arbeitsplatzargument in der Rüstungsindustrie so schwerwiegend nicht ist.

Die TeilnehmerInnen der ggae-Podiumsdiskussion:
Thomas Roithner – Friedens- und Konfliktforscher
Sara Tavares da Costa –Young European Socialists
Marcus Strohmeier – Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB)
Franz Sieder – Kaplan, Betriebsseelsorger, Pax Christi
Michael Kösten –GewerkschafterInnen gegen Atomenergie und Krieg (ggae)

Alle Stellungnahmen der TeilnehmerInnen: EU Auf dem Weg zur Kriegssunion (aus ggae 3-2019)
S
tatement der GewerkschafterInnen gegen Atomenergie und Krieg (aus ggae 4-2019)