Am 7. Jänner 2020 wurde die türkis-grüne Regierung angelobt und das neue Regierungsprogramm veröffentlicht. Auf knappen 7 Seiten wird das Thema „Landesverteidigung und Krisen- & Katastrophenschutz“ abgehandelt. Wir werden in den nächsten Wochen Stellungnahmen zu diesem Thema veröffentlichen.

Österreichs Neutralität im Regierungsprogramm

Auf den ersten Blick scheint alles sehr positiv. In mehreren Absätzen wird Österreichs Neutralität angesprochen, aber kein einziges Mal spricht das Regierungsprogramm von Türkis-Grün von einer immerwährenden Neutralität. – Warum eigentlich nicht? Im Wort „immerwährend“ steckt das Versprechen, die Neutralität immer zu erhalten und gegen Angriffe zu verteidigen.

Blickt man die Formulierungen im Regierungsprogramm kritischer an, so erkennt man dahinter die bereits erfolgte oder noch geplante Unterwanderung der Neutralität. Eine Market-Umfrage für den STANDARD vor dem EU-Beitritt im Mai 1993 ergab, dass das höchste Interesse an den Beitrittsverhandlungen zur damaligen EG lautete: „Verhandlungsziel muss sein, dass die Neutralität durch den EG-Beitritt nicht gefährdet wird.“

Conrad Seidl schreibt im STANDARD vom 9.1.2020 u.a.: „Österreich ging schon sehr früh weitreichende Sicherheitskooperationen im Rahmen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) ein. Hatte sich das Bundesheer bis dahin – abgesehen von humanitären Hilfseinsätzen – international nur in Blauhelmmissionen der UNO  engagiert, so begann 1999 die bis heute dauernde Beteiligung an der NATO-geführten Kosovo-Truppe KFOR. Ebenso beteiligte sich Österreich an der EUFOR-Truppe in Bosnien, und ab 2002 nahmen österreichische Soldaten im Rahmen der „Partnerschaft für den Frieden“ (PfP) auch an NATO-Manövern teil. In NATO-Operationen eingebunden zu sein wurde für die österreichischen Militärs zur Normalität.“ „…. auch der erste Einsatz in Afghanistan unter NATO-Führung wurde in den Medien kaum beachtet. Ebenso wenig ist aufgefallen, dass österreichische Soldaten sich bei solchen Einsätzen immer wieder durch Heldentaten ausgezeichnet haben – dass ein Bundesheersoldat im Afghanistan-Einsatz 2015 eine US-Tapferkeitsmedaille erhalten hat, war in der heimischen Öffentlichkeit kaum ein Thema. Generalmajor Johann Frank von der Direktion für Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium sagt im STANDARD-Gespräch: „Den Vorwurf, wir seien sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer, kann man uns nicht mehr machen.“

Die im Aktionsbündnis AbFaNG kooperierenden Organisationen sehen u.a. breits die oben genannten Einsätze als klaren Bruch der Neutralität. Der Unterschrift von Sebastian Kurz im November 2017 (während Österreichs EU-Präsidentschaft) zu EU-SSZ / PESCO sehen wir als weitere Aushöhlung der Neutralität.

Die Solidarwerkstatt kommentiert dies wie folgt: Im November 2017 unterschreibt Außenminister Sebastian Kurz den Beitritt Österreichs zur „Ständig Strukturierten Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/PESCO). Diese sieht unter anderem vor, dass die Transportwege der EU-Staaten mit vielen Milliarden für schweres Kriegsgerät „fit“ gemacht werden sollen, um rasch Richtung Osten zu rollen. Anstatt endlich die eigenen Verkehrswege für die neutralitätswidrigen NATO- und EU-Kriegsmaterialtransporte dicht zu machen, will die österreichische Regierung sogar EU-weit unterstützen, dass Waffen und Truppen uneingeschränkt für den Krieg rollen können.

Zu den im Regierungsprogramm 2020 – 2024 festgeschriebenen Vorhaben gehört u.a. die „Weiterentwicklung der Neutralität“.

Die GewerkschafterInnen gegen Atomenergie und Krieg sehen diese Weiterentwicklung wie folgt: „Gemeinsam mit der Teilnahmen an PESCO, an Auslandseinsätzen und anderem mehr ist das eine gefährliche Drohung gegen die Neutralität. D..h. man hält sich alles offen – also noch mehr als schon bisher: ‚Im Namen der Neutralität gegen die Neutralität.‘ Warum: weil die Regierungsentscheider wissen, dass eine offene Aushöhlung der Neutralität bei der Bevölkerung abgelehnt werden würde. Also redet man von Neutralität, Abrüstung, Frieden und Menschenrechten oder von der Erhaltung der Neutralität im Sinne der Verfassung. Tatsächlich haben wir in der Verfassung aber seit mehr als 20 Jahren immer mehr Ausnahmeregelungen im Sinne der EU-und NATO-Einbindung und gegen die immerwährende Neutralität geschaffen. Hinter den schönen Formulierungen den Frieden und die Neutralität zu sicheren steht in Wirklichkeit mehr denn je die Unterstützung der EU-Aufrüstung und EU-Militarisierung.“

Anmerkung:
EU-SSZ steht für „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“
PESCO steht für „Permanent Structured Cooperation“