Zivile Friedensfachkraft

Zivile Friedensfachkräfte in Österreich:
Ein Vorschlag als neues Außenpolitikinstrument

Von Thomas Roithner und Pete Hämmerle

Nicht weit in die Geschichte muss zurückgeblickt werden, um den Werkzeugkasten des Militärs zur Bearbeitung von komplexen Konflikten als unzureichend und in manchen Kriegen und Konflikten auch als falsch zu erkennen.

Afghanistan, Irak oder Libyen sind heute nach westlichen Militärinterventionen gescheiterte Staaten. Weniger einen moralischen Standpunkt nehmen wir ein, wenn wir uns für einen gerechten Frieden einsetzen. Es ist auch in unserem Interesse, wenn wir Beiträge für die Beseitigung der Ursachen von Flucht, Terror oder Hunger leisten können. Die Forschung bestätigt, dass Vermittlungstätigkeiten und Vereinbarungen in Friedensprozessen in den letzten Dekaden an Bedeutung gewonnen haben (Schreiber 2011). Außenpolitik reicht weit über Politik, Diplomatie, Militär und internationale Organisationen hinaus. Zivilgesellschaftliche Aktivitäten gehören – wie die Arbeit der Wissenschaft, der Religionsgemeinschaften, der Gewerkschaften, der Kulturschaffenden oder der Medien – zu einem Wesensmerkmal einer demokratischen und lebhaften Gesamterscheinung von Außenpolitik.

Die Staatenwelt kann durch die Beiträge der Gesellschaftswelt profitieren. Vor allem in der Konfliktprävention, der öffentlichen Unterstützung von Friedensprozessen, der Kriegsfolgenaufarbeitung oder im Bereich der Versöhnung fällt das Ergebnis besonders positiv aus (Ropers 2010). Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind nur zwei Stichworte für die Erfolgsbilanz. Auch die Personalentsendungen aus Österreich im Rahmen unterschiedlicher Friedens- und Freiwilligendienste der letzten Dekaden bestätigen dies.

Die Weltkarte zeigt jene Länder, wo bereits Einsätze von deutschen zivilen Friedensfachkräften stattgefunden haben bzw. staffinden.  > mehr Infos zum deutschen ZFD

Die Besonderheit von zivilen Friedensfachkräften gegenüber freiwilligen Friedens- oder Gedenkdiensten im Ausland liegt darin, dass sie professionell und gut ausgebildet über längere Zeit direkt an der Bearbeitung eines Konflikts mitwirken und nicht primär die eigene Lernerfahrung im Zentrum steht.

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Friede geht auch über die Abwesenheit von Bedrohung hinaus. Nicht nur direkte körperliche Gewalt, sondern auch die Gewaltstrukturen, Gewaltursachen und Rechtfertigungen unterschiedlicher Gewaltformen werden in den Blick
genommen. Zivile Prävention kann nicht nur geleistet werden, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Eine umfassende zivile Präventionsagenda setzt bei einem breiten Begriff und in unterschiedlichen Konfliktphasen an, der ökologische, wirtschaftliche, 
verteilungspolitische, menschenrechtliche, kulturelle oder soziale Fragen in einen nachhaltigen Friedensaufbau integriert.

Die ZFD-Kampagne  richtet sich in erster Linie an den Nationalrat  bzw. die wahlwerbenden Parteien für die Nationalratswahl im September 2019. Ihr Ziel ist der Beschluss eines Bundesgesetzes in diesem Sinne.

Internationale Situation

In verschiedenen europäischen Staaten kommen bereits zivile bzw. zivilgesellschaftliche Friedensfachkräfte zum Einsatz. Dabei fällt auf, dass in allen „Vorzeigeländern“ – wenn auch in unterschiedlicher Weise – klare politische Rahmenbedingungen im Sinne eines friedenspolitischen Ansatzes sowie entsprechende Strukturen für zivile Friedenseinsätze, meist durch die Ministerien für Äußeres oder Entwicklungspolitik, vorhanden sind. Es gibt also eine Vision bzw. Ideen, warum und wie zivile Konfliktbearbeitung wichtig ist, und den politischen Willen zu ihrer Umsetzung im nationalen Rahmen.

Die skandinavischen Staaten können auf eine lange Tradition friedenspolitischer, ziviler Aktivitäten verweisen: Schweden und Finnland, neutrale bzw. blockfreie Mitglieder der EU, haben sich u.a. durch den Aufbau ziviler ExpertInnen-Pools und entsprechende Trainingsmaßnahmen einen Namen gemacht. Die Folke Bernadotte Akademie ist die staatliche Koordinierungsstelle für zivile Friedenseinsätze (mit rund 70 Entsendungen in UN-, OSZE- und EU-Einsätzen), Friedenseinsätze von kirchlichen und Nichtregierungsorganisationen werden von der schwedischen Entwicklungsagentur SIDA gefördert. Norwegen bringt seit Jahren seine Expertise und seine Ressourcen in einer Reihe von Friedens- und Versöhnungsprozessen auf internationaler Ebene (z.B. im Nahen Osten, Sri Lanka, Kolumbien oder den Philippinen) ein.

Die neutrale Schweiz hat sich in den 1990er Jahren ebenfalls ein dezidiert friedenspolitisches Profil gegeben und eine eigene Abteilung „Menschliche Sicherheit“ im Außenministerium dafür eingerichtet, die z.B. für die Förderung von Frieden und Demokratie in Konfliktregionen, für Mediation, Vergangenheitsarbeit und den ExpertInnenpool für zivile Friedensförderung (mit rund 200 Entsendungen pro Jahr) zuständig ist. Im Kompetenzzentrum für Friedensförderung (KOFF) der Schweizer Friedensstiftung Swisspeace arbeiten das Außenministerium sowie 46 NGOs zusammen, um Dialoge und Lernprozesse im Bereich Peacebuilding zu koordinieren sowie Politikempfehlungen und gemeinsame Friedensinitiativen zu entwickeln. In Italien läuft seit zwei Jahren eine Experimentierphase für ein Ziviles Friedenscorps, einer Mischform von Freiwilligendienst und Zivilem Friedensdienst, das vom Staat finanziert wird.

Auch in Deutschland ist in den letzten 20 Jahren eine Infrastruktur für zivile Konfliktbearbeitung aufgebaut worden, die u.a. das Zentrum für internationale Friedenseinsätze (staatliche Entsendungen ziviler ExpertInnen v.a. für internationale Missionen von UN, OSZE, EU), den Zivilen Friedensdienst (Entsendung von Friedensfachkräften als Gemeinschaftswerk von NGOs und dem Entwicklungsministerium), die Fördereinrichtung ZIVIK (finanzielle Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen), die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) und die Deutsche Stiftung Friedensforschung umfasst. Im Juni 2017 hat die Bundesregierung die neuen Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ beschlossen, deren Umsetzung von einem interministeriellen Steuerungsgremium geleitet und u.a. von einem parlamentarischen Unterausschuss und einem eigenen Beirat evaluiert wird.

Das 1999 geschaffene Instrument des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) ist ein Programm für Gewaltprävention und Friedensförderung in Krisen- und
Konfliktregionen. Darin unterstützen professionell ausgebildete Fachkräfte langfristig Menschen vor Ort in ihrem Einsatz für Dialog, Menschenrechte und Frieden.

Neun deutsche Entwicklungs- und Friedensorganisationen – mit dem „Konsortium ZFD“ als gemeinsamer Plattform – entsenden derzeit rund 300 zivile Friedensfachkräfte in 45 Länder. Seit der Gründung des ZFD waren mehr als 1.500 internationale Fachkräfte in 60 Ländern aktiv. Im Zivilen Friedensdienst arbeiten Zivilgesellschaft und Staat im Sinne eines „Gemeinschaftswerks“ zusammen, er wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit 2017 mit einem Budget von 45 Millionen Euro gefördert und regelmäßig evaluiert. Inzwischen ist der ZFD als anerkanntes Instrument der Friedens- und Entwicklungspolitik fest in der deutschen Außenpolitik verankert.

Kooperationen

Zivile ExpertInnen und zivilgesellschaftliche Friedensdienste und -fachkräfte arbeiten in ihren Einsätzen in Konfliktgebieten nicht primär im Interesse ihrer nationalen Entsendestaaten oder -organisationen, sondern wollen lokale PartnerInnen in ihren Tätigkeiten beim Friedensaufbau unterstützen. Gewalt kann nicht „von außen“ verhindert, Konflikte nicht über die Köpfe der Beteiligten hinweg transformiert, Frieden nicht ohne die lokale Bevölkerung aufgebaut werden – deshalb haben die Stärkung der Zivilgesellschaften in der Konfliktregion
und die Unterstützung ihrer Friedenspotenziale inzwischen in alle Konzepte unter dem Stichwort „local ownership“ Eingang gefunden. Der Zivile Friedensdienst in Deutschland trägt dem z.B. dadurch Rechnung, dass nicht nur die direkten Kosten für externe Fachkräfte, sondern auch ein Anteil für den Aufbau nachhaltiger Friedensstrukturen vor Ort finanziert werden.

Neben den lokalen AkteurInnen treten in Konflikten normaler Weise noch viele weitere internationale Organisationen auf den Plan. Diese verfolgen teilweise ähnliche Agenden, Ziele und Ansätze der Konfliktbearbeitung wie NGOs oder Staaten, haben aber darüber hinaus oftmals noch zusätzliche Politiken oder Instrumente der zivilen Friedensförderung zur Hand. Die Agenda 2030 für die nachhaltige Entwicklung oder das Thema „Frauen, Frieden und Sicherheit“ (Sicherheitsrats-Resolution 1325) der Vereinten Nationen oder die Konfliktpräventions- oder BeobachterInnenmissionen der OSZE können als Beispiele dafür dienen. Und bezüglich der operativen Abstimmungen vor Ort mit (lokalen und internationalen) AkteurInnen, die keinen gewaltfreien Ansatz der setzen wie etwa humanitäre Hilfe, gilt es einen kohärenten, koordinierten und komplementären Zugang (vgl. Wiener 3C Appell) zu finden.

Einsatzbereiche

So vielfältig wie einzelne Konflikte in verschiedenen Regionen sich darstellen, so vielfältig sind auch die Ziele und möglichen Einsatzbereiche für zivile Fachkräfte und Friedensdienste. Unterschieden werden nach Schweitzer (2009: 6-12) folgende Ziele und Strategien ziviler Konfliktbearbeitung, denen hier beispielhaft konkrete Aktivitäten zugeordnet werden:

Prävention: gewaltsamen Konflikten vorbeugen (z.B. durch vertrauensbildende Maßnahmen, Dialogförderung,
Frühwarnsysteme, Wahlbeobachtung) Peacemaking: politische Regelungen suchen (z.B. durch Schiedsgerichte, Verhandlungen, Mediation auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen)

Peacekeeping: vor Gewalt und Verletzung von Menschenrechten schützen (z.B. durch zivile Beobachtungsmissionen von Waffenstillständen, internationale Präsenz und Schutzbegleitung, Beobachtung und Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen, unbewaffneten Schutz von ZivilistInnen)

Peacebuilding: Ursachen und Folgen von Gewalt bearbeiten. Zu diesem Punkt benennt Schweitzer (2009) insgesamt zehn Hauptkategorien von Aufgaben mit verschiedenen möglichen Maßnahmen, wie z.B. die Beseitigung von Schäden und die Rückkehr von Flüchtlingen (sozialer Wiederaufbau, begleitete
Flüchtlingsrückkehr), die (psycho-) soziale Arbeit (z.B. Traumata bearbeiten, KindersoldatInnen in die Gesellschaft reintegrieren), die Schaffung von Gerechtigkeit (Übergangsjustiz, Aufarbeitung der Vergangenheit, Wahrheits- und Versöhnungskommissionen), die Förderung der Zivilgesellschaft (durch Bildung, Stärkung der Rolle von Frauen in Friedensprozessen, Ausbildung für konfliktsensitiven Journalismus) oder die direkte Förderung von Friedensfähigkeit (Friedenserziehung, Abbau von Feindbildern, Versöhnungsarbeit). Manche dieser Aufgaben werden vornehmlich durch zivile Maßnahmen und ExpertInnen des Staates oder der Wirtschaft bzw. durch humanitäre und EntwicklungshelferInnen, andere her durch zivilgesellschaftliche Friedensfachkräfte erfüllt werden können. Was es auf jeden Fall dafür braucht, sind einschlägige (Berufs-)Erfahrungen sowie eine fundierte und angemessene Ausbildung in ziviler Konfliktbearbeitung. Das Potenzial an zivilen ExpertInnen, die bereits Erfahrungen mit Friedensarbeit in verschiedenen Regionen und Themenbereichen in interkulturellen Kontexten erworben haben, ist in Österreich jedenfalls vorhanden – genauso wie die Expertise von Trainingseinrichtungen und Organisationen, die Fachkräfte für Einsätze in Krisengebieten ausbilden.

Was tun?

An Bekenntnissen der letzten Bundesregierungen zur zivilen Friedensförderung mangelt es nicht. Regierungsprogramme, Sicherheitsstrategien sowie offizielle Berichte und Konzepte unterschiedlichster staatlicher Stellen betonen den Beitrag und die Wichtigkeit ziviler und zivilgesellschaftlicher außenpolitischer Tätigkeiten. Die aktuelle Sicherheitsstrategie (2013) strebt beispielsweise an, den Auf- und Ausbau effizienter ziviler Kräfte strategisch zu verfolgen und durch zivile Komponenten die „Wirksamkeit und Sichtbarkeit österreichischer Beiträge im Ausland“ zu erhöhen. Zwischen dem hoffenden Wunsch und der Realität klafft allerdings eine große Lücke.

Für die kommende 26. parlamentarische Legislaturperiode schlagen wir vor, in den ersten drei Jahren eine unabhängige wissenschaftliche Machbarkeitsstudie für einen zivilen, nichtstaatlichen Friedensdienst für Österreich zu erstellen, auf die dann eine zweijährige Pilotphase folgen soll. Internationale wie nationale Erfahrungen, best practice-Modelle, Aufgabenfelder, Ausbildungsmöglichkeiten und Kooperationsmodalitäten mit staatlichen Stellen sollen erarbeitet werden. Die Studie soll auch Finanzierungsmodelle – beispielsweise eine staatlich eingerichtete Stiftung bzw. einen Fonds für Friedensforschung und Friedenspolitik – darstellen. Zivile Fachkräfte können dabei je nach Tätigkeitsfeld unterschiedliche Ausbildungen und Erfahrungen mitbringen. Zu verfolgen ist dabei ein Gesamtansatz, der die Zivilgesellschaft, wissenschaftliche Kapazitäten, Medien und weitere relevante AkteurInnen integriert. Zielsetzung am Ende der 26. parlamentarischen Legislaturperiode ist, mit einer mit den wesentlichen Akteuren abgestimmten und erprobten Konzeption einen staatlich finanzierten und politisch unabhängigen Zivilen Friedensdienst dauerhaft einzurichten.

Wesentlich kurzfristiger könnten in der nächsten Regierungsperiode bereits früh die entsprechenden und notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Entsendung ziviler ExpertInnen durch staatliche und nichtstaatliche Stellen im Rahmen eines Auslandseinsatzkonzeptes beschlossen werden. Die neue Bundesregierung sollte sich in ihrer Regierungserklärung zu diesen Vorhaben, inklusive der budgetären Vorkehrungen, selbst verpflichten. Der Bundespräsident könnte für die Aufbauphase die Schirmherrschaft dieses neuen Außenpolitikinstruments übernehmen.

> PDF des Originalartikels in „International“ III / 2017 inkl. Literaturangaben

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